erzlich Willkommen liebe Freunde der Schutz- und Leittechnik! Wo beginnt "Arbeiten unter Spannung" (AuS) und wo ist die klar definierte Grenze? Sind wir als Prüfingenieure dazu verpflichtet eine gültige AuS-Ausbildung zu besitzen? Wie ist AuS definiert und was gibt es außerdem zu beachten?
Wir freuen uns riesig, denn auf diese und weitere drängende Fragen antwortet uns unser Gastautor Mathias Diedrich in unserem zweiten Teil "Arbeiten unter Spannung".
Zur Person:
Herr Dipl. Ing. Mathias Diedrich ist derzeit leitender technischer Referent im LEAG Qualifizierungszentrum in Lübbenau. Er ist dort unter anderem für die AuS-Ausbildung zuständig, Vorsitzender des VDE ETG Fachausschuß V2.2, des Arbeitskreises AuS im Bezirksverein Dresden und in mehreren Arbeitskreisen des VDE tätig.
In unserem heutigen zweiten Teil von unserem Gastautor Mathias Diedrich steigen wir nun endlich tiefer in die Details zum Thema ein. Los geht's:
Arbeiten unter Spannung (AuS)? Teil 2
Nachdem wir im ersten Teil den theoretischen Bereich mit den dazugehörenden Vorschriften beleuchtet haben, möchte ich heute in einem kleinen Umfang in die Praxisseite einsteigen.
Wenn sich ein Unternehmen dazu bekennt, das "Arbeiten unter Spannung" anzuwenden und eine Grundsatzentscheidung, mit den dazu gehörenden Gefährdungsbeurteilungen, schriftlich fixiert wurden, müssen zudem zwei weitere Sicherheitsaspekte betrachtet werden.
Der Erste ist die persönliche Schutzausrüstung für die Mitarbeiter und das entsprechende Werkzeug.
Der zweite wichtige Punkt ist die Schulung bzw. Unterweisung der zum AuS vorgesehenen Mitarbeiter. Zunächst wollen wir Punkt 1 betrachten:
PSA und Werkzeug
Da der Unternehmer verpflichtet ist eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) zur Verfügung zu stellen, möchte ich an dieser Stelle ein paar Hinweise geben, worauf bei der Auswahl dieser geachtet werden sollte.
Sicherlich ist es sinnvoll hier einmal voranzustellen, das die Sicherheit auf alle Fälle Geld kostet. Man sollte wie auch im normalen Leben, vernünftig und mit dem nötigen Augenmaß an die Auswahl von PSA herangehen.
Das Billigste hält nicht lange bzw. erfüllt häufig nicht die geforderten Sicherheitskriterien. Auf der anderen Seite gilt der Spruch: "Schlechtes muß nicht billig sein" und der Einkauf hat gerade bei größeren Unternehmen ein entscheidendes Wort mitzureden, was häufig zur Ablehnung von hochwertiger / hochpreisiger Schutzausrüstung führt.
Es gibt auf dem deutschen Markt viele Anbieter, welche gute und sehr gute Ausrüstungen herstellen und vertreiben. Bei der persönlichen Schutzausrüstung sollte man entsprechend der Gefährdungsbeurteilung entscheiden, welche Lichtbogenklasse diese besitzen sollte.
In dem Bereich der Sekundärtechnik gehe ich persönlich davon aus, das in den meisten Fällen die Schutzklasse 1 ausreichend ist. Diese beinhaltet einen genormten Lichtbogentest der Kleidung mit 4 kA bei einer Dauer von 0,5 Sekunden. Die höhere Schutzklasse 2 hat einen stärkeren Stoff bzw. setzt sich aus mehrlagigen Stoffen zusammen. Dies wirkt sich bereits wesentlich auf den Tragekomfort aus.
Bei dem Einsatz von Werkzeugen und Hilfsmitteln kommen wir in den nächsten Einsatzbereich für das Personal. Auch hier gelten die gleichen Hinweise die ich schon bei der persönlichen Schutzausrüstung aufgeführt habe. Ein wichtiger Hinweis im Rahmen der Beschaffung und Nutzung ist immer die Kennzeichnung auf dem Werkzeug bzw. Hilfsmittel.
Hier muss, und ich betone „MUSS“, dass sogenannte Doppeldreieck auf dem Werkzeug und die Angabe der Spannung mit 1000 Volt vorhanden sein. Bei Handschuhen hat sich eine Klassifizierung auf Grund der internationalen Normung mit der Klasse 00 oder der Klasse 0 durchgesetzt.
🌐 Klasse 00 ist bis 500 Volt zugelassen.
🌐 Klasse 0 ist bis 1000 Volt zugelassen.
Die nachstehende Abbildung zeigt diese Kennzeichnungen.
Unterweisung und Schulung des Personals
Auch in diesem Bereich gibt es bundesweit viele Anbieter und auch wenn ich mich wiederhole, es ist abermals die hinreichende Qualität zu beachten.
Ein weiterer Hinweis sei mir an der Stelle erlaubt:
Der ETG Fachausschuss V2.2 hat für die Ausbildungsstätten eine Qualitätszertifizierung in Zusammenarbeit mit dem VDE Prüfinstitut in Offenbach erarbeitet. Auf freiwilliger Basis können sich Ausbildungsstätten nach vorgegebenen Richtlinien zertifizieren lassen. Damit wird eine einheitlich hohe Qualität der Schulung sichergestellt. Zur Zeit sind bundesweit ca. 20 Schulungsstätten zertifiziert.
Gute Ausbildungen gibt es in dem zeitlichen Bereich von 8 Stunden bis hin zu ganzen Wochenkursen.
Für den Sekundärbereich empfehle ich immer ein 2-tägiges Seminar. Hier sollte am ersten Tag der theoretische Teil unterwiesen werden und mit einer schriftlichen Prüfung abschließen. Der zweite Tag dient dann der praktischen Unterweisung, welche ebenfalls mit einer Prüfung beendet wird.
Es soll hierbei nicht die Arbeit an sich trainiert werden, sondern das Handling mit der isolierten Ausrüstung und den entsprechenden Hilfsmitteln. Es ist immer ein großer Schritt für das Personal, denn es kostet viel Überwindung vom Arbeiten im freigeschaltetem Zustand zum Arbeiten unter Spannung überzugehen.
Soll heißen: So ein Stück „Gummi“ soll mich bewusst vor dem Stromfluss/Spannung schützen?!
(Was auch wirklich funktioniert!)
Wo beginnt den nun eigentlich das „AuS“?
Ich sage immer, in dem Moment in dem ich an der Anlage mittels Werkzeug etwas verändere, fängt das „AuS“ an. Heißt, sobald ich einen Draht mit dem Schraubendreher ausklemme, fängt das „AuS“ an.
Warum: Weil genau in diesem Moment die Anlage aus einem Finger sicherem Zustand in eine offene Anlage überführt wird und ein blanker unter Spannung stehender Draht dabei zum Vorschein kommt.
Ich möchte jetzt an der Stelle ein kleines Beispiel dazu bringen. Im nachfolgenden Bild sehen wir eine finger- und handrückensichere Klemmleiste.
Die Sicherheit an dieser Anlage ist schon konstruktiv sehr hoch. Das nächste Bild zeigt eine etwas ältere Konfiguration mit Keramikklemmen, welche man auch noch häufig vorfindet:
Häufig werden Klemmarbeiten wie im folgenden zu sehen durchgeführt. Gefährdungen sind auf dem ersten Blick nicht zuerkennen.
Nach einer AuS Schulung gehen die Monteure oder Mitarbeiter mit einer etwas anderen Einstellung an diese Tätigkeit.
Warum? Was soll den hier schon passieren?
Schauen wir uns dazu das nächste Bild an:
Das blanke Stück, durch unbeabsichtigtes abisolieren oder durch eine brüchige Isolation, kann schnell zur Falle werden und zu einer gefährlichen Körperdurchströmung führen. Geschultes Personal würde hier mit entsprechender Vorsicht und nur unter Verwendung eines isolierten Handschuhs zu Werke gehen, um diese Gefährdung zu beseitigen. Das nächste Bild zeigt einen solchen Eingriff mit Handschuh:
Es gibt für den Sekundärbereich unterschiedliche Möglichkeiten solche Schutzmaßnahmen anzuwenden. Der Mitarbeiter soll ja nicht in der Arbeit behindert werden, sondern es soll ein Schutz gegen Körperdurchströmung geschaffen werden. Wie es von den jeweiligen Unternehmen dann in der Gefährdungsbeurteilung festgelegt wird, richtet sich auch nach der Sicherheitsaufgabe durch die Führungskraft.
Ziel sollte es immer sein, das es zu „keinem Unfall“ beim Arbeiten in elektrotechnischen Anlagen kommt, egal mit welcher Arbeitsmethode!
--- Ende Teil 2 ---
Wir bedanken uns bei Mathias Diedrich für die beiden interessanten Beiträge zum Thema AuS. Auch wir sind der Meinung: "Null Unfälle" und wünschen Euch allen viel Erfolg bei der Arbeit!
HERZliche Grüsse, Deine Engineering Academy
PS.: Für direkte Anfragen zum Thema AuS und AuS Schulungen kann Herr Diedrich direkt kontaktiert werden.
Herr Mathias Diedrich
LEAG Qualifizierungszentrum LübbenauStraße des Friedens 26
03222 Lübbenau / Spreewaldmathias.diedrich@leag.deTel. +493542 874 352